Lasst mich euch eine kleine Geschichte erzählen. Es war einmal ein mitteljunger Mann, der sich etwa Ende 2013 verstärkt für die Fotografie interessierte.
Geknipst habe ich schon immer gern. Mal im Urlaub, mal auf Parties. Mit diesen kleinen, günstigen Kompaktkameras von Casio. Die waren irgendwie cool. Schön klein und auch so günstig, dass ich selbst als armer Student keine Hemmungen hatte diese nach dem zehnten Bier auf einer Party herumzureichen. Automatikmodus und ab dafür.
Irgendwann dachte ich mir, es sei spannend, nicht nur betrunkene Freunde, sondern auch mal andere Dinge zu fotografieren. Aber was?
Ich habe ein paar Freunde die im Ruhrgebiet aufwuchsen. Einer von ihnen erzählte mir, dass durch die ständige Erweiterung der Braunkohleabbaugebiete bereits einige Ortschaften umgesiedelt wurden und das tatsächlich auch noch heute der Fall ist. Ich hatte davon bereits im Fernsehen mal etwas gehört, mir war aber nicht bewusst, dass sich das bis in die Gegenwart zieht.
Geisterstadt war das beflügelte Wort. Geisterstadt… is klar. Wie im Western? Wo diese runden Büsche über die Dorfstraße fliegen und keine Menschenseele anwesend ist? Klingt erstens unrealistisch, aber zweitens auch spannend. „Lass uns da mal hinfahren“. Gesagt, getan. Die Bilder sind Anfang 2014 entstanden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Standard. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenAuf dem Kartenausschnitt könnt ihr schon ganz gut erkennen, wie verdammt groß der Tagebau ist. Um uns einen Überblick zu verschaffen sind wir an den Rand des Tagebaus Garzweiler II gefahren. Dort gibt es einen Parkplatz mit guter Aussicht. Die riesigen Schaufelbagger fräsen sich durch Unmengen Erde, waren zu dem Zeitpunkt aber auf der gegenüberliegenden Seite. Trotzdem nicht weniger imposant.
Es ist schon beeindrucken welche Massen dort von Menschenhand (ok, Maschinenhand) bewegt werden. Das dadurch ganze Ortschaften zwangsumgesiedelt werden ist beim darüber Nachdenken nicht mehr beeindruckend, sondern beängstigend und traurig.
Nachdem wir also die „Übeltäter“ sahen, wollten wir uns eine Ortschaft anschauen, deren Einwohner zu dem Zeitpunkt schon fast zu 100% umgesiedelt waren und der Abriss der Häuser kurz bevor stand. Borschemich. 2006 begann bereits die Umsiedlung in die neue Ortschaft Borschemich (neu). Kein Witz, der Ort heißt wirklich so. Mit Klammern.
Zu dem Zeitpunkt wohnten etwa 520 Menschen dort. Das muss man sich mal vorstellen. Da wird einfach ein ganzer Ort dem Erdboden gleich gemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe wenig bis keine Hintergrundinformationen. Vermutlich gab es ganz ordentliche Entschädigungszahlungen. Gut für Menschen, die eh kein Bock mehr hatten dort zu wohnen. Aber was ist mit den anderen? Ich will das hier auch gar nicht zu politisch werden lassen. Ich bin nicht besonders verwurzelt mit meiner Heimat, mag sie aber doch ganz gern. Wenn ich mir vorstelle, dass dort alles umgesiedelt werden würde, die ganzen Geschichten der Menschen von heute auf morgen ausgelöscht werden, dann stimmt mich das nachdenklich.
Der Ort selbst war irgendwie unwirklich. Das war verdammt nochmal ein ganz normales Dorf. Mit einer schönen Linde im Ortskern, einer Kirche, Feuerwehr, einer Schule und einem ehemaligen Wasserschloss. Ganz normal also, bis auf die verbarrikadierten Fenster und eben das kein anderer Mensch weit und breit zu sehen war. Verlassen. Geisterstadt.
Wir sind dort etwa 2-3 Stunden herumspaziert und haben uns alles aus der Nähe angeschaut. Hin und wieder ist ein Fahrzeug eines privaten Sicherheitsdienstes vorbeigefahren. Ich nehme an, dass das Gebiet mittlerweile Privatgelände war. Angesprochen wurden wir nicht, also gingen wir weiter.
Wenn ich heute die Fotos anschaue hätte das durchaus Potenzial um spannende Geschichten rund um die Menschen zu erzählen. Alte Häuser, neue Häuser. Wie geht es den Menschen jetzt? Die Häuser stehen, laut Wikipedia, heute nicht mehr. Die Einwohner kamen am 27.02.2016 zusammen um die Dorflinde zu fällen, damit kein Fremder Hand an das Wahrzeichen anlegen konnte.
Übrigens befinden sich derzeit zwei weitere Ortschaften in der Umsiedlung, fünf zusätzliche Orte kommen in Zukunft noch hinzu.